Mitglieder der autonom-hippieesken linken Glaubensgemeinschaft werden sie kennen, einige der Glaubensbrüder und Glaubensschwestern sie womöglich noch an ihren schwarzen Kapuzen-Hoodys an irgendeiner Stelle aufgenäht tragen, neben all den verkrusteten Utensilien wie "burn out the rich!"-oder "fuck bush!"-Buttons, die der linke Lifestyle so für schick und umstürzlerisch hält: Die recht schmucklosen und schlecht gestalteten Aufnäher mit der Parole "kill your tv, before your tv kills you!" und dem netten autonomen Schläger von Nebenan bedruckt, welcher ein Fernsehgerät mit einem Baseballschläger oder, ein etwas coolerer Ausdruck autonomer Urbanität, einem "Teli", zertrümmert. Menschen, die zumindest mit einem Rest an Vernunft versehen sind, werden für diesen Bestandteil der Anti-Aufklärung und des archaischen Kollektivismus zurecht nur noch ein müdes Lächeln übrig haben, und doch sollte auch diesen Menschen manchmal der Wunsch nicht vergönnt bleiben, es dem Testosteron-Junkie gleichzutun und den Fernseher einfach auf die Straße kicken zu wollen: Etwa dann, wenn in ganz privater und unpolitischer Atmosphäre, je nach eigener, individueller Vorliebe also, ein Fussballspiel, ein liebgewonnenes Musikvideo oder eine Dokumentation über Zwergwelse auf dem Abendprogramm stehen und einer oder einem die Sehnsucht nach kollektiver Geborgenheit und nationaler Identität in Form von Bekenntnissen zu "unserem Deutschland" der Dichter und Henker penetrant, auf nahezu allen Kanälen, pathetisch und schwarz-rot-golden ins Gesicht springt.


Zum Grauen der deutschen Medienlandschaft

Dabei ist es völlig gleichgültig, aus welchem kulturellen Loch die jeweiligen ProphetInnen des "neuen Deutschlands" gerade gekrochen sein mögen:
Ob der deutsche Bestseller-Autor Jörg Friedrich in einer der unzähligen Dokumentationen auf Phoenix oder Arte die vom nationalsozialistischen Staat organisierte und von der deutschen Volksgemeinschaft, "Hitlers willigen Vollstreckern" (Daniel Jonah Goldhagen) exekutierte Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden relativiert, in dem er vom "alliierten Vernichtungskrieg" schwafelt und die Bezwinger des Nationalsozialismus in einem Atemzug mit den deutschen Massenmördern und Ideologen des deutschen Vernichtungskrieges nennt (und sie, by the way, auf eine widerliche Art und Weise diffamiert); ob der deutsche Filmemacher und Regisseur zahlreicher Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg, Guido Knopp, Lieblingshistoriker der Deutschen, lediglich eine binäre Einteilung der deutschen Volksgemeinschaft in "Unterdrücker", also "Hitler und seine Generäle", und von der "Nazi-Diktatur Unterdrückte", die eigentlich ganz friedfertigen und zivilisierten Mitglieder der "Volksgemeinschaft der Onkel Adolfs und Tante Emmas" (Initiative Sozialistisches Forum Freiburg), zu kennen scheint; oder ob Sarah Connor, Günter Jauch und Kool Savas in der Kampagne "Du bist Deutschland" alle Mitglieder des deutschen Kollektivs dazu auffordern, im Sinne des Aufschwungs und der Innovation für Deutschland kräftig mit anzupacken, nicht nur auf der Autobahn Gas zu geben sondern endlich mal von der Bremse runter zu gehen und "unser Land" einfach wie einen guten Freund zu behandeln, sich als Subjekt brav dem Großen und Ganzen unterzuordnen und völlig in ihm aufzugehen.
Ob das nicht nur musikalisch vollig indiskutable Pop-Duo Heppner & Van Dyk die zu Tränen rührende und bewegende Geschichte der deutschen "Opfergemeinschaft" in ihrem Song "Wir sind Wir" nachzeichnet oder - und die Aufzählung könnte munter so weitergehen - oder ob die Berliner Band Mia in ihrem schwarz-rot-goldenen Bühnenoutfit nicht nur zeigt, sowenig Sinn für Style und Ästhetik zu haben wie "Arschloch-Hüte"- tragende Prolet-Arier auf dem Schützenfest in Klausheide oder im Bierzelt der Münchner Wiesn, sondern in ihrem Pop-Knaller "Es ist was es ist" auch das unverkrampfte Sich-Bekennen-Können zur deutschen Nation einfordert:
All diesen mehr oder weniger wahnsinnigen Individuen im Dienste der deutschen Nation sind zumindest die Liebe zu Deutschland und die unstillbare Forderung, sich stolz auf deutsche Geschichte und Identität beziehen zu können, gemeinsam. Hiermit stellen sie in der Tat RepräsentantInnen eines "neuen" Deutschlands dar, denn während in der Zeit vor der rot-grünen Legislaturperiode der Schröders und Fischers die deutsche Schuld an und die Auseinandersetzung mit Auschwitz stets vehement abgewehrt wurde, präsentiert sich das "neue" Deutschland - gerade wegen der deutschen Tat Auschwitz - als verantwortungsvolles, aufarbeitendes und reflektiertes Kollektiv, welches "Lehren aus der damaligen Zeit" gezogen habe und dazu befugt sei, diese, natürlich je nach nationalem Interesse, der restlichen Welt vermitteln zu müssen: Mit den "Lehren aus Auschwitz" wurde sowohl die militärische Intervention im Kosovo-Krieg, als auch der Frieden mit dem baathistischen Irak begründet.


Zur Nation

Dabei ist der Begriff der Nation als Organisationsform von Individuen weder eine historische Notwendigkeit, welche einem Willenszusammenhang, einem Zusammenschluß der Einzelnen zwecks möglichst effektiver Verwirklichung ihrer Interessen entspräche - eine solche Ableitung würde die Antagonismen einer Gesellschaft, in welcher kapitalistische Produktionsweise herrscht, ignorieren - noch lässt sich die Formierung einer Nation als Naturnotwendigkeit fassen, welche den Zusammenschluß von Menschen aufgrund gemeinsamer Sprache, "gemeinsamer Kultur" oder gar einem sonstwie determinierten "menschlichen Wesen", verwirkliche.
Vielmehr stellt die Zusammenfassung von Subjekten unter dem Mantel der Nation einen konstruierten Zwangszusammenhang dar, welcher zum Einen die Identifikation des Subjektes mit dem Kollektiv einfordert und somit alle Eigenheiten des Subjektes notwendigerweise einebnet, und zum Anderen dort die Illusion von "Einheit" stiftet, wo diese gerade nicht besteht: In einer auf Warenproduktion basierenden Gesellschaft, welche, bei rechtlicher Freiheit und Gleichheit und dem Schutz des Privateigentums der Individuen, durch den Gegensatz zwischen Eigentümern an Produktionsmitteln und den Besitzern von Arbeitskraft gekennzeichnet ist und in welcher das Verhältnis der Individuen zueinander kein Unmittelbares darstellt, sondern sich über den Austausch von Waren zu vermitteln hat - in einer Gesellschaft, welche die individuelle Entfaltung der Subjekte zwangsläufig behindert, da sie lediglich die umfassende Unterordnung eines/einer Jeden unter die Bedingungen der "gespenstigen Gegenständlichkeit" (Karl Marx) des Werts kennt.
Zudem geht die Formierung eines nationalen Kollektivs notwendig mit einer Abgrenzung all derer einher, die - gleichgültig, ob als Kollektiv oder als Individuum wahrgenommen - "nicht dazugehören", da sie vermeintliche Eigenschaften besäßen (oder nicht besäßen), welche nicht den gemeinsamen Eigenschaften des herbeihallzuinierten nationalen Kollektivs entsprächen. Dennoch lässt sich der Unsinn der Nation nicht lediglich auf die simple Formel, nach der "alle Nationen irgendwie gleich seien", herunterbrechen: Das Spezifische einer bestimmten Nation ist keinesfalls isoliert von den jeweiligen nationalen Besonderheiten, wie der national ausgeprägten Ideologie oder der historischen Situation, in welcher sich das jeweilige Kollektiv konstituierte, zu betrachten.


"...eben weil diese Nation die Scheisse an und für sich ist." (Karl Marx)

Während etwa in Frankreich die Herausbildung der französischen Nation mit einem Sturz der Feudalherrschaft und der Konstitution einer liberalen, bürgerlichen Gesellschaft einherging, formierte sich nationale Identität in Deutschland vor allem mit Bezug auf gemeinsame "Abstammung", sowie als Abgrenzung gegen die bürgerlich-liberalen, als "Sittenverfall" bezeichneten Wertvorstellungen der französichen Revolution nach außen und gegen vermeintliche Feinde der deutschen Nation, den Jüdinnen und Juden, nach innen. Wo bereits der deutsche Philosoph Fichte gefordert hatte, "den Juden die Köpfe abzuschneiden und neue aufzusetzen, in denen nicht mehr eine einzige, jüdische Idee sei", entwickelte sich der moderne Antisemitismus spezifisch deutscher Ausprägung als zwingender Bestandteil des Kollektivbewußtseins und der nationalen Identität deutscher Volksgemeinschaft, welche sich aufgrund der gemeinsamen "Abstammung", gemeinsamen Blutes und Bodens, der "deutschen Rasse", artikuliere. Die Vorstellung der "deutschen Rasse" als ein "organisch gewachsenes" und auf deutschem Boden "verwurzeltes" Kollektiv beinhaltete zugleich die Entwicklung eines Antipols, einer "Gegenrasse", welche sich in den als "abstrakt" und "international", weil "konkret ungebundenen" Jüdinnen und Juden entäußere - so wurden Jüdinnen und Juden aufgrund eines als biologisch determiniert begriffenen "jüdischen Wesens" als die Inkarnation alles "Anti-Deutschen" ausgemacht, welche den "deutschen Volkskörper" als "Parasiten" auszusaugen und so die "soziale Gesundheit" der "deutschen Rasse" zu zerstören gedachten.
Als weiterer Bestandteil des deutschen Antisemitimus ist zudem der deutsche Antikapitalismus romantischer Ausprägung zu betrachten; von den in dieser Ideologie des Antikapitalismus verhafteten Individuen wird die Komplexität der kapitalistischen Produktionsweise nicht durchschaut und in ihrer Gesamtheit begriffen, sondern in zwei sich widersprechende Kategorien aufgespalten: Die "konkrete" und "organische" Seite kapitalistischer Produktion wird in Form von Industriekapital und konkreter Arbeit als "ehrlich" begriffen und mit dem deutschen Kollektiv identifiziert, während sich die "abstrakte" und “raffende” Seite kapitalistischer Produktion in der Gestalt "des Juden" personifiziert. Aufgrund dessen konnten die Jüdinnen und Juden mit unfaßbarer und unkontrollierbarer Macht in Form des "internationalen Weltjudentums" identifiziert und als hinter allen Bestandteilen kapitalistischer Vergesellschaftung und der Moderne stehend wahrgenommen werden, wie etwa dem Wegfall althergebrachter sozialer Zusammenhänge und Sicherheiten oder der "vulgären, materialistischen, modernen Kultur" (Moishe Postone). Die Identifikation "des Juden" mit der sachlichen Herrschaft des Kapitals erweiterte sich zudem um die Vorstellung, die Jüdinnen und Juden stünden ebenfalls hinter dem Bolschewismus oder der Sozialdemokratie.
Dieser moderne, spezifisch deutsche Antisemitismus führte als integraler Bestandteil des deutschen Nationalsozialismus zur antisemitischen Praxis der Deutschen, welche mit Begeisterung ausgeführt wurde und in der Zeit des Nationalsozialismus zu ihrem Höhepunkt gelangte: Die Deutschen praktizierten den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden in den okkupierten Gebieten, indem sie Millionen jüdischer Menschen auf brutalste Weise und mit Freude erniedrigten, quälten, erschlugen und erschossen, während ihre VolksgenossInnen in den Vernichtungslagern im besetzten Polen wiederum Millionen jüdischer Menschen industriell in Gaskammern und Krematorien vernichteten oder durch sinnlose Arbeit zu Tode quälten. Hierzu ist anzumerken, dass sich die Barbarei der Shoa nicht funktionalistisch erklären läßt - die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden war kein Mittel zu einem anderen, sondern "sich selbst Zweck - Ausrottung um der Ausrottung willen". (Moishe Postone)

Mit Bezug auf gegenwärtige Verhältnisse muss eine Reflexion auf die Shoa sowohl politische Notwendigkeit, als auch zwingender Bestandteil einer Kritik dieser Verhältnisse sein: Solange jedoch an dem Gedanken der deutschen Nation und der Identifikation mit dem deutschen Kollektiv festgehalten wird, solange bleibt der notwendig von Adorno formulierte kategorische Imperativ unbegriffen und unerfüllt, nach dem die Menschen in der Zeit nach Auschwitz "ihr Denken und Handeln so einzurichten (haben), daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe".


Pas d’raison pour la nation.

Kein Bedarf an der Nation. Dem Adornoschen kategorischen Imperativ folgend, ist die Auflösung der Deutschen Nation und die Aufhebung des Kapitalverhältnisses einzufordern.


Initiative i can’t relax in deutschland
“die neue deutsche Unbefangenheit”

“Das popkulturelle Deutschland fährt völkisches Geschütz auf.
Dass Popkultur in Deutschland nicht anders strukturiert ist als der gesellschaftliche Mainstream, verdeutlichten nicht erst Mia mit ihrer »sexy« Hommage an die Berliner Republik. ... “


Sinistra! Radikale Linke
“Kapital und Nation. Eine Einführung”

“Vor allem der affirmative Bezug auf die Nation, wie er im neuen deutschen Pop en vogue ist, drückt die Identifikation mit Herrschaft, Ausgrenzung und Ausbeutung aus und bestärkt die bestehende Irrationalität der Vergesellschaftungsform, deren offensichtlichstes Merkmal wahrscheinlich ist, dass die immer größere Produktion stofflichem Reichtums eine immer größere Verarmung mit sich bringt. Doch die kapitalistische Vergesellschaftung ist nicht zu reduzieren auf die Ökonomie und schon gar nicht als reines Verteilungsproblem des gesellschaftlichen Reichtums zu thematisieren (so wie es viele in den Rudimenten sozialer Bewegungen tun). Stattdessen gilt es, Politik und Gesellschaft, Staat und Ökonomie als nicht zu trennende zu begreifen und die Gesellschaft als Ganze zu kritisieren.”


Bonner Bündnis für Berliner Verhältnisse
“die konformistische Rebellion. Der Zusammenhang von Antisemitismus und Antiamerikanismus.”

Der Vortrag setzt sich mit dem strukturellen Zuzsammnenhang von Antisemitismus und Antiamerikanismus auseinander. “Rebellion” schreiben sich viele “soziale Protesbewegungen” auf ihre Fahnen. Unter dem label des sozilaen Protests firmieren Linke wie rechte Gruppen. Gegen wen oder was richtet sich diese “Rebellion”?